Revolution in der Steuerkanzlei

Aufsatz von Christoph Kerkmann, Handelsblatt  Homepage 20.03.2019

Der IT-Dienstleister will Papierbelege überflüssig machen. Ein Programm mit künstlicher Intelligenz soll Ordnung in die Rechnungen bringen. 

 Nürnberg. Eingangskorb, Ausgangskorb, Buchungsmappe und Stempel: Auf den Schreibtischen zahlreicher Buchhalter befinden sich die gleichen Utensilien wie vor 20, 30 oder sogar 40 Jahren. Viele Firmen - gerade kleine und mittlere - hantieren nach wie vor mit ausgedruckten Rechnungen und Belegen, als hätte es die Diskussionen übers papierlose Büro nie gegeben.

Die Datev will dieses Handwerkszeug des analogen Zeitalters überflüssig machen. Der IT-Dienstleister der Steuerberater in Deutschland investiert seit einigen Jahren in die Digitalisierung betriebswirtschaftlicher Prozesse. Nun entwickelt er ein Programm, das mittels künstlicher Intelligenz viele Arbeitsschritte überflüssig machen soll.

Wenn die Software mit dem internen Namen "Fibu-Automatisierung" Ende des Jahres auf den Markt kommt, könnte sie die Arbeit in den Kanzleien deutlich verändern: Sie soll Rechnungen automatisch in die Finanzbuchhaltung übernehmen, ohne dass ein Steuerfachangestellter dafür einen Klick machen müsste.

 In ersten Tests liegt der Arbeitsaufwand beim Umgang mit den Belegen um 50 Prozent niedriger. "Wir entlasten damit die Kanzleien des Steuerberater von Routinetätigkeiten", sagt Datev-Chef Robert Mayr.

Das Projekt ist ein Beispiel dafür, wie Künstliche Intelligenz die Automatisierung von Kopfarbeit ermöglicht. Wie sehr sich der Alltag in deutschen Büros verändern wird, hängt indes auch von der Veränderungsbereitschaft der Unternehmen ab – Steuerberater, die in der Genossenschaft Datev das Sagen haben, gelten als konservative Klientel. Das Unternehmen muss sich daher nicht nur um die Technik kümmern, sondern auch auf eine Veränderung der Kultur hinwirken.

Lästige Routine

Die Finanzbuchhaltung bereitet den Steuerberatungskanzleien viel lästige Arbeit. Die Mitarbeiter tragen zahlreiche Belege ihrer Kunden von Hand ein – und das, obwohl viele Dokumente mittlerweile digital vorliegen. Das neue Programm soll diesen Prozess weitgehend automatisieren: Es liest die Rechnungsdaten mit einer Texterkennung aus und erkennt automatisch, unter welchem Posten es diese verbuchen muss.

Dabei nutzt die Datev das maschinelle Lernen, eine Sonderform der Künstlichen Intelligenz: Der Algorithmus leitet, vereinfacht gesagt, aufgrund historischer Informationen ab, um was für einen Vorgang es sich handelt. „Die Künstliche Intelligenz kann wiederkehrende Aufgaben gut bewältigen“, sagt Projektleiter Thilo Edinger. Im Idealfall ergibt sich eine Arbeitsteilung: Die Maschine erledigt die Routineaufgaben, der Mensch löst die anspruchsvollen Probleme. In der Praxis könnte der Automat die monatlich wiederkehrende Rechnung verbuchen, während ein gescanntes Dokument, das schlecht lesbar ist, beim Steuerfachangestellten auf dem Bildschirm auftaucht – im Zweifel kann er zum Telefon greifen. Diese Form der Künstlichen Intelligenz ist universell einsetzbar, sofern ausreichend Daten vorliegen. Amazon prognostiziert damit zum Beispiel, welche Produkte einem Kunden gefallen könnten. Medizinspezialisten sagen vorher, welche Bilder eines Gewebes einen Tumor zeigen. Und Maschinenbauer analysieren anhand der Betriebsdaten, welchen Zusammenhang es zwischen Vibrationen und Ausfällen gibt.

Auch bei der Buchhaltung lässt sich das maschinelle Lernen nutzen. Datev-Chef Mayr ist überzeugt, dass seine Firma ein Alleinstellungsmerkmal hat: „Wir verwalten in unserem Rechenzentrum Informationen von rund 2,5 Millionen Unternehmen – das ist ein großer Teil des deutschen Mittelstands.“ Die Genossenschaft, so die Hoffnung, hat somit den Rohstoff für treffende Prognosen, natürlich unter Beachtung des Datenschutzes.

Die Folgen könnten weitreichend sein. „Die typische Kanzlei hat neun bis zehn Mitarbeiter, von denen die Hälfte die Buchhaltung macht“, sagt Mayr. Der Aufwand an manueller Arbeit werde mit der Einführung Künstlicher Intelligenz deutlich sinken. Gleichzeitig sei es möglich, die frei werdenden Kapazitäten für mehr höherwertige Beratung zu verwenden. „Der Berufsstand des Steuerberaters wird sich massiv verändern“, sagt Mayr daher vorher.

Effizienz 

50 Prozent weniger Arbeitsaufwand bei der Verbuchung von Belegen verspricht eine neue Software. Quelle: Datev

Die Genossenschaft will ihren 40.000 Mitgliedern mit der Software einerseits dabei helfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, andererseits neue Dienstleistungen zu entwickeln. „Wir werden die Kanzleien in die Lage versetzen, noch mehr nach vorn gerichtete betriebswirtschaftliche Beratung anzubieten“, nennt Mayr ein Beispiel. Der Steuerberater könne künftig aufgrund der aktuellen Daten zum Beispiel frühzeitig warnen, wenn die Liquidität knapp zu werden droht.

Die Entwicklung ende damit nicht, betont Projektleiter Edinger: Die Technologie könne Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung einer Firma oder Werkzeuge zur Erkennung möglicher Rechtsverstöße bieten. Der Steuerberater werde immer mehr „zum Coach und zum Compliance-Ratgeber für seine Mandanten“.

Für die Datev ist die Digitalisierung ein gutes Geschäft. Das Unternehmen steigerte den Umsatz 2018 um 5,7 Prozent und erwirtschaftete 1,034 Milliarden Euro, das Betriebsergebnis um 23 Prozent auf 74,6 Millionen Euro. Damit wuchs der IT-Dienstleister stärker als der IT-Markt.

„Die zunehmende Digitalisierung der betriebswirtschaftlichen Prozesse führt zu einer verstärkten Nachfrage und deutlich steigenden Anwenderzahl“, sagte Datev-Chef Robert Mayr. Hinzu komme die gute Konjunktur. Auch für 2019 erwartet der Manager „eine fünf vor dem Komma“.

Verkauf ab Jahresende

Bis das neue Produkt dazu beitragen kann, ist allerdings noch einiges zu tun. Derzeit erprobt ein Team der Datev mit zehn Steuerberatungskanzleien das neue Programm, um es den Kundenwünschen anzupassen. Ende des Jahres soll die erste Version fertig sein. Kunden können damit ihre Buchhaltung ergänzen. Wie viel das kostet, macht das Unternehmen bislang noch nicht publik.

Die Datev rüstet sich und ihre Mitglieder für den Wettbewerb: Immer mehr Firmen wollen die Buchhaltung mit Künstlicher Intelligenz aufrüsten. Nach einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC unter 76 deutschen Mittelständlern und Großkonzernen denken 39 Prozent über das automatische Auslesen von Rechnungen und Belegen mithilfe der Technologie nach, weitere 29 Prozent über automatischen Zahlungsverkehr.

Auch bei kleinen und mittleren Unternehmen gewinnt das Thema Digitalisierung an Bedeutung, beobachtet Ulrich Erxleben, Mitgründer und Chef des Start-ups Smacc – selbst wenn bei ihnen noch Papier vorherrscht. So steige die Akzeptanz für Lösungen aus der Cloud. „Das erleichtert es, moderne Komponenten wie maschinelles Lernen einzusetzen“, erklärt der frühere Unternehmensberater: Die Daten liegen so bereits im Rechenzentrum vor.

Von diesem Trend profitiert Smacc doppelt: Das Start-up bietet eine cloudbasierte Rechnungsverarbeitungssoftware an und vermarktet inzwischen seine KI-Technologie über die Ausgründung Hypatos auch an andere IT-Unternehmen. „Es gibt kaum einen Hersteller von Buchungssoftware, mit dem wir nicht in Kontakt sind“, sagt Erxleben.

Das Potenzial reicht weit über die Finanzbuchhaltung hinaus, betont der Gründer: „Im Backoffice gibt es viele Anwendungsfälle, bei denen Dokumente manuell verarbeitet werden“ – etwa Bestellungen und Lieferscheine. „Den Papierwahnsinn, der für viele Fehler sorgt, langsam ist und viel Geld kostet, können wir mit moderner Technologie abschaffen.“ Der Job der Steuerberater und Buchhalter dürfte sich weiter verändern.

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